Sawsan Chebli, 41, ist in Berlin geboren, ihre Eltern sind palästinensische Flüchtlinge. Die Frage nach der Herkunft beantwortet sie mit Berlin und Moabit. Manchen reicht das nicht, das kritisiert sie. Für Tim K. war der Tweet offenbar eine Provokation. In seinem Video bezeichnet er sie als "Quotenmigrantin der SPD" und "islamische Sprechpuppe". Und er fragt: "Hat Ihr Vater aus Trieb, religiöser Überzeugung oder wirtschaftlicher Berechnung im Lager zwölf Kinder gezeugt?" Aus Cheblis Sicht eine Beleidigung.
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Richter Alexander Kiworr zieht sich für zwanzig Minuten zurück. Dann spricht er Tim K. im Namen des Volkes frei. Die Abwägung, was eine noch zulässige Meinungsäußerung, was schon eine unzulässige Beleidigung darstelle, sei schwierig, "insbesondere in einem Grenzfall wie dem vorliegenden".
Ein sehr interessanter Prozess, gerade in der heutigen Zeit. Ich bin übrigens - Trommelwirbel - auf der Seite des Richters. Die Meinungsfreiheit ist ein extrem schützenswertes Gut und gerade bei Personen des öffentlichen Lebens ist sehr schwer abzuwägen, was noch Meinung und was mehr Beleidigung darstellt. Und da heißt es dann im Zweifel für den Angeklagten.
Ich bin absolut dafür, dass man gegen Hass im Netz sehr konsequent vorgeht. Und Gestalten wie Tim K., die diesen Hass mit solchen Kanälen mitschüren, bilden für mich den Bodensatz der Gesellschaft. Es ist schwer zu ertragen, dass solche Leute sich ganz bewusst am äußeren Rand dieser Grenze bewegen, aber man muss es als Gesellschaft hinnehmen. Jemanden wegen vergleichsweise eher harmlosen Aussagen gleich wegen Beleidigung zu verurteilen, ist der falsche Weg. Dass sich Chebli durch diese Aussagen, die dazu hunderttausendfach geklickt werden, beleidigt fühlt, ist dennoch absolut verständlich und dass sie dagegen vorgeht finde ich ebenfalls richtig.
Was sich gerade Politiker im Netz teilweise anhören müssen, ist nur noch widerlich. Wir führen 1.000 Diskussion im Fußball, dass den Schiedsrichtern mit mehr Respekt begegnet werden solle, den Kindern zum Vorbild. Aber was tagtäglich im Netz losgelassen wird, ist selbst in der Kreisliga nicht auf der Tagesordnung. Politikerinnen werden Vergewaltigungen gewünscht, Politiker gehören erschossen, Ausländer gelyncht, kastriert, ermordert. Gerade Facebook ist inzwischen derart überfüllt mit rechten Trollen, dass ich die Kommentarspalten konsequent meide. Sobald es in einem Artikel, egal welches Nachrichtenportal ihn postet, auch nur entfernt um Politiker oder Ausländer/Migranten/Migrationshintergrund/ungeklärte Täterherkunft/irgendwas wo man Ausländer beschuldigen könnte handelt, kann man sich hunderter Hetzkommentare sicher sein. Die FAZ postet vorsorglich unter nahezu jeden Link zu solchen Themen, die Follower sollen sich doch bitte an die Kommentarrichtlinien halten, sonst werde man löschen. Da schlottern den Hetzern natürlich vor Angst gleich die Knie. Wie machtlos die Betreiber der Seiten oder auch Facebook selbst am Ende sind, kann man dort Tag für Tag beobachten.
Für mich ist es an der Zeit, dem Thema deutlich mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Man sollte nicht erst darauf warten, dass jemand Kommentare zur Anzeige bringt. Man sollte mit entsprechendem Personal gezielt danach suchen. Und zwar nicht alibimäßig, um seitens Politik reagiert zu haben. Man muss sowohl bei Staatsanwaltschaften als auch bei Gerichten die nötigen Ressourcen schaffen, diese Fälle in einer großen Zahl konsequent verfolgen zu können. Ich sehe hier einfach eine absolute Verrohung der (Netz-)Gesellschaft, die allmählich Einzug in den Alltag findet. Jeder Mensch, der so etwas postet, sollte wissen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Wenn hier eine gewisse Konsequenz einkehrt, kippt das Thema hoffentlich wieder in die richtige Richtung. Nur muss man hier jetzt gegensteuern.
Menschen radikalisieren sich inzwischen über das Internet. Und am Ende schießen sie dann vor Synagogen oder in Shisha-Bars Menschen über den Haufen oder verabreden sich mit Gleichgesinnten zu Anschlägen auf Politiker. Und das sind nur die Beispiele aus den letzten paar Wochen. Das sollte alarmierend genug sein. Mich macht das alles einfach krank.