Lückenhafter Werdegang des Copiloten
Der Copilot: Carsten Spohr, der Lufthansa-Vorstand, hat verkündet, dass der fragliche Copilot 100 Prozent flugtauglich war und auch ansonsten „normal“. Hier hege ich meine Zweifel. Betrachten wir den beruflichen Werdegang. Laut Spohr hat er seine Ausbildung 2008 begonnen, dann einige Monate ausgesetzt und 2010 seine Abschlussprüfung bestanden. Den Flugdienst bei German Wings hat er 2013 begonnen. Hier ist zu bemerken, dass es eine Lücke von mindestens zwei Jahren gibt, die alles andere als „normal“ ist für einen jungen Flugzeugführer im Lufthansa Konzern.
Die weitere Angabe, der Copilot hätte 650 Flugstunden auf seinem Konto, lässt jeden Fachmann aufhorchen. Die Frage muss sofort gestellt werden, welche Flugstunden hier angegeben sind. Sind das nur die Flugstunden auf dem A 320? Oder alle, seit Beginn der Schulung durch Lufthansa? In jedem Fall entspricht diese Flugerfahrung nicht dem Standard eines Lufthansa-Piloten. Der leistet durchschnittlich zwischen 500 und 800 Stunden pro Jahr. Wenn also der Dienstbeginn im Jahr 2013 lag, wir heute März 2015 schreiben, dann müssten mindestens 1.000 Stunden geflogen worden sein – vorsichtig gerechnet. Es sieht also so aus, dass dieser Pilot unübersehbare Auszeiten gehabt haben muss, wahrscheinlich krankheitsbedingt.
Krankheitsbedingt flugunfähig – und doch im Cockpit!
Nun gibt es ernstzunehmende Meldungen, dass sich dieser Junge Mann – zumindest zeitweise – in psychiatrischer Behandlung befunden hat. Damit ließe sich denn auch erklären, warum es die Lücke in seiner Karriere von zwei Jahren gab, und warum er nur relativ wenige Flugstunden in den letzten zwei Jahren absolviert hat. Leider kommt es noch schlimmer. Die letzten Meldungen, die von der deutschen Staatsanwaltschaft kommen, sind erschreckend. In der Wohnung des verstorbenen Copiloten haben sich diverse Krankschreibungen gefunden. Die letzte bescheinigt eine Krankheit, also Flugunfähigkeit, für den Tag des Unfalls. Was wir noch nicht wissen, ist, ob der Copilot diese oder die älteren Krankschreibungen an seinen Arbeitgeber weitergeleitet hat. Wir wissen auch nicht, ob diese Krankschreibungen mit einer medikamentösen Behandlung einhergingen. So oder so deutet alles darauf hin, dass der Copilot – entgegen der Aussage von Herrn Spohr – eben nicht flugtauglich war. Ob Herr Spohr das wissen konnte/musste, wird offen bleiben.
Vorschnelle Schuldzuweisungen sind nicht angebracht
Unter diesem gravierenden Aspekt muss die vorschnelle Schuldzuweisung zurückgewiesen werden. Auch für die Beurteilung des möglichen Unfallablaufs müssen gänzlich neue Parameter einbezogen werden. Stand der Copilot unter Medikamenteneinfluss, vielleicht Sedativa gegen Depressionen? Erscheint es angesichts der Erkenntnisse um den Gesundheitszustand des jungen Mannes nicht wahrscheinlicher, dass er eben nicht Herr seiner Sinne war, als das Unglück passierte? Wir haben nicht einmal gesichertes Wissen darüber, ob der Kapitän nicht doch im Cockpit war, aber einen Herzinfarkt erlitten hat, also handlungsunfähig war. Könnte diese Stresssituation den eigentlich flugunfähigen Copilot paralysiert haben? Waren es Flugbegleiter, die erkannt haben, dass hier etwas schrecklich daneben geht und verzweifelt Zutritt zum Cockpit gesucht haben?
Ich kann diese Fragen zum jetzigen Zeitpunkt ebenso wenig beantworten, wie irgendjemand sonst. Ich sah mich auch in den letzten Tagen nicht in der Lage, irgendeine Vermutung der Öffentlichkeit zuzumuten. Umso mehr verurteile ich den französischen Staatsanwalt, der einen möglicherweise tragisch unschuldigen, weil kranken und vom Arbeitgeber dennoch eingesetzten jungen Mann als Massenmörder verurteilt. Genauso oder noch heftiger verurteile ich die großen Massenmedien, die ohne Nachdenken und vernünftige Recherche ein Kesseltreiben auf diesen Mann und seine Familie veranstaltet haben. So bleibe ich nicht nur in diesem Fall bei meiner Forderung: Mehr Besonnenheit bitte!
Quelle: Anonymous