Ich denke, da sind wir nicht so weit auseinander.
Ich finde, Merz hatte recht, die Migration zu thematisieren. Es
liegt in der Natur der Sache und im demokratischen Pluralismus, dass
die Union diesbezüglich teils ganz andere Vorstellungen hat als die
Grünen. ABER: Ganz schlecht war sein taktisches Vorgehen (aus vielen
Gründen, die ich hier nicht alle auflisten möchte) und die Art der
Kommunikation. Beides wirkte panisch und dadurch unsouverän und
dürfte der Nicht-Alternative genutzt haben.
In diesem Zusammenhang war es auch ein wahlkampftaktischer Fehler,
sich am Ende so stark auf das Thema Migration zu fokussieren. Besser
wäre es gewesen, wie zu Beginn des Wahlkampfs, eine breitere Palette
typischer Unionsthemen anzubieten (insbesondere Wirtschaft,
Sicherheit allgemein, Energie etc.). Ein Angebot in den
Themenfeldern, in denen sich bürgerliche Wähler einen
Richtungswechsel wünschen, hätte eine sachorientierte Kommunikation
erfordert. Das hätte es der Nicht-Alternative ungleich schwerer
gemacht, da diese in diesen Sachthemen innerlich extrem zerstritten
ist und deshalb kein ganzheitliches Angebot bieten kann.
Merz hat zu Beginn des Wahlkampfs eigentlich zumindest in Ansätzen
richtig gehandelt, hat dann jedoch zum Ende hin ganz ohne Not die
besagten Fehler gemacht und damit der Nicht-Alternative Aktionsfelder
geboten, auf denen sie von ihren vielen Unzulänglichkeiten ablenken
konnte.
Das letztliche Wahlergebnis wurde in der Union mit 'Ernüchterung'
– also genau, wie du es formulierst – , teilweise sogar mit
Enttäuschung aufgenommen. Hätte Merz sich nicht in oben
beschriebener Weise unsouverän verhalten, dann wären 30+ locker
drin gewesen.
Ja! Stimmt, was du schreibst ist absolut logisch: gebrochen Wahlversprechen stehen in
direktem Kausalzusammenhang mit dem Wahlkampf, insofern habe ich mir
hier selbst widersprochen.
Ich formuliere es anders: in der
bürgerlichen Wählerschaft macht sich zunehmend das Gefühl breit,
das FDP und Union zu große Kompromisse machen würden, weil diese
aufgrund Brandmauer von links erpressbar wären und dadurch in
zentralen Punkten stets eine Politik entgegen der
Bevölkerungsmehrheit gemacht würde, was für Demokratieverdruss
sorgt, so dass sich ein Teil dieser Wählerschaft teils aus purem
Motz-Reflex der AfD zuwendet, wohlwissend, dass diese gar kein
entsprechendes Sachangebot hat.
Das ist natürlich doppelt dumm.
Denn von obigem Narrativ ausgehend ist es ja so: 1. Würde niemand
AfD wählen, dann wären die bürgerlichen Parteien eben nicht in
oben beschriebener Weise 'erpressbar'. 2. Sich aus purem Frust nach
dem Denkzettelprinzip der AfD zuzuwenden, löst kein einziges
Problem.