Ich habe längere Zeit in Projekten der Arbeitsmarktintegration gearbeitet und kann vielleicht mal eine Perspektive aus der Praxis beisteuern.
Man muss sicher erstmal etwas zwischen Sanktionen, Obdachlosigkeit und Existenzminimum trennen, auch wenn die Übergänge flüssig sind.
ALG2 also Harz4 sichert in der Regel immer das Existenzminimum. D.h. es ist unwahrscheinlich aufgrund von Sanktionen obdachlos zu werden.
Die Miete und zur Not auch Einkaufsgutscheine werden immer bezahlt. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass dies eine Frage der Menschenwürde ist... JA! Denn die Teilhabe am sozialen Leben ist damit sehr beschränkt. Und die ist nun mal wichtig für die Stimmung in der Gesellschaft. Fühle ich mich ausgeschlossen, fange ich an gegen die Gesellschaft zu arbeiten.
Bei einer Obdachlosigkeit spielen aber meist mehrere Faktoren eine Rolle. Fast immer Gesundheit. Und damit ist körperliche, wie auch psychische Gesundheit gemeint. Sucht, Traumata, Depressionen etc. sind da mindestens genauso große Schwierigkeiten wie körperliche Behinderungen. Nicht selten ein Mix aus allem. Oft aber weniger "greifbar".
Menschen verlieren ihre Wohnung meist nicht aus purer finanzieller Not, sondern weil es Umstände gibt, die es Unmöglich mache den Alltag zu bewältigen. Damit häufen sich Schulden und Verbindlichkeiten an.
Oder ganz simpel: Personen wissen einfach nicht, wie man einen Haushalt führt und wie man sich als Mieter/in verhält. Das hat erst mal wenig mit dem Jobcenter zu tun. ABER ganz viel mit unserem Sozialsystem. Denn für solche Menschen gibt es zu wenig oder nur niederschwellige Projekte. Ein ganz großes Problem. Und es wir immer Menschen geben, die nie in der Lage sein werden dauerhaft eine Wohnung zu halten. Diese brauchen ganz gezielte individuelle Unterstützung.
Kommen wir zu den Sanktionen. Wie erwähnt, ein Existenzminimum wird immer gestellt, zur Not sogar mit Darlehen und Gutscheinen. Das Dilemma ist aber folgendes; Wie bekommt man Menschen an den Tisch, um überhaupt eine Integration in den Arbeitsmarkt oder arbeitsmarktnahe Projekte zu erzielen?
Ohne Sanktionen gibt es bei einigen keine Motivation. Auch wenn ich zustimme, dass wir eine gewisse Prozentzahl als Gesellschaft aushalten müssen. Dabei denke ich garnicht mal in den Kategorien faul oder nicht faul. Sondern denke eher daran, was für Langzeitfolgen eine Arbeitslosigkeit für den/die Einzelne hat, Finanziell und psychisch. D. h. du musst diese Menschen an den Tisch bekommen, um überhaupt Förderangebote machen zu können. Ob die alle immer so passend sind, ist eine andere Frage.
Viele haben es sich etwas auch bequem in ihrer Situation gemacht oder haben schlicht verlernt am Arbeitsleben teilzunehmen. Würde man diese ihrem Schicksal überlassen und dies still weiter finanzieren, hätte man auch gesellschaftliche nichts gewonnen. Der Frust und die Abwendung vom gesellschaftlichen Leben wären ähnlich bzw. fördert dies sogar Depressionen und soziale Störungen.