Für die, die es nicht anders können und aus guten Gründen nicht arbeiten können, ja absolute Zustimmung.
Für alle Faulpelze, die einfach keine Lust haben zu arbeiten und ihr ganzes Leben am liebsten nix arbeiten wollen, ist jeder Euro mehr, einer zu viel.
Diese Einstellung mag man haben, ja. Ich habe in meiner Arbeit ja relativ viel (weil sie dort überrepräsentiert sind) mit Arbeitslosen, teilweise Langzeitsarbeitslosen zu tun, ganz egal ob Familien oder Alleinerziehende (meist Mütter). In aller Regel ist nach meiner Erfahrung aber kaum jemand dabei, auf den das Label „nicht arbeiten zu wollen“ wirklich zutrifft. Die wird es mit Sicherheit geben - hat es aber schon immer. Viel häufiger trifft man auf Menschen, die familiengeschichtlich stark belastet sind, wo Armut und „unzureichende“ Bildung über 2-3 Generationen vorzufinden sind etc.
Kleiner FunFact am Rande: die Anzahl der Menschen in ALG 2 Bezug ist in den vergangenen 5 Jahren um 10% gesunken.
Bei allem Für und Wider zum ALG 2 ist ja nicht das Problem, dass das ALG 2 zu hoch ist und die Menschen in Hartz IV in Saus und Braus leben. Das ist das absolute Existenzminimum, da kann und darf man nichts kürzen und es ist zumindest adäquat an die Lebenshaltungskosten anzupassen (wobei die niedrige Erhöhung jetzt jawohl auf die verzerrte Berechnungsgrundlage durch den reduzierten Mehrwertsteuersatz aus 2020 zurückzuführen ist).
Das eigentliche Problem ist, dass wir einen der schlimmsten und ekelhaftesten Niedriglohnsektoren Europas haben, dass es hunderttausende Menschen gibt, die (Vollzeit) arbeiten gehen und trotzdem aufstocken müssen (das ist blanker Hohn!) und dass es sich (dadurch) für viele ALG 2 Empfänger im Grunde nicht lohnt, arbeiten zu gehen. Natürlich ist Erwerbsarbeit sinnstiftend, man tut was fürs eigene Ego, man erlebt Selbstwirksamkeit, man wird „gebraucht“. Aber ein Großteil derjenigen, die diese Erfahrungen gemacht haben, gehen dann eben als Aufstocker sehr wohl arbeiten oder würden gerne arbeiten, landen aber in irgendwelchen sinnfreien Maßnahmen, die Geld kosten und tauchen dadurch nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auf.
Mal platt gesagt: Arbeit muss sich finanziell (mehr) lohnen, was einen höheren Mindestlohn erfordert (die Effekte von einem höheren Mindestlohn, nämlich Zunahme von sozialversicherungspflichtigen Stellen bei kleinen und mittelgroßen Betrieben, hatte ich ja neulich schon anhand der Untersuchung ein paar Seiten vorher dargelegt), mehr Tarifbindung / Tarifverträge in unterschiedlichen Bereichen (bestimmte Bereiche sind ohne besser dran, da muss man eben genau schauen), mehr Menschen in sozialversicherungspflichtigen Jobs.
Darüber hinaus gibt es ja noch zahlreiche andere Ideen, die leider immer sofort zerredet werden. Zum Beispiel darf man sich sehr wohl die Frage stellen, ob es in dem nächsten 10-15 Jahren noch sehr zeitgemäß (und vernünftig) sein wird, eine Vollzeitstelle mit 39 oder 40 Stunden zu bemessen. Oder man darf sich die Frage stellen, woher die ganzen Kita- und U3-Plätze kommen sollen und was die Alternativen dazu sein könnten (Stichwort: „Elterngehalt“). Oder man darf sich die Frage stellen, wie sinnfrei diese dämliche „schwarze Null“ (ich rede nicht von Laschet) ist, was durch die Steuergeschenke für die oberen mittleren und hohen Einkommen ja noch abstruser wird. Oder man darf sich fragen, ob nicht der massive Ausbau des ÖPNV (städtisch wie ländlich) bei gleichzeitiger Reduzierung des Individualverkehrs nicht die klimatisch UND ökonomisch beste Lösung für (fast) alle ist und man den ÖPNV immens subventioniert, damit alle die Möglichkeit auf ein 365€-Jahresticket haben bei gleichzeitiger Höherbepreisung von PS-starken Statussymbolen.
Wir stehen in verschiedensten Bereichen (Bildung, Verkehr institutionelle Infrastruktur, Polizei und Co. und und und) vor massivsten Investitionsstaus, teilweise über Jahrzehnte, und schwarz-gelb schwatzt irgendeinen Blödsinn von „Mimimi, die linke Gefahr, die wollen Steuern erhöhen und Schulden machen!“ JA, WAS DENN SONST?!? Und wen soll man denn bitte höher belasten, wenn nicht die, die es sich im wahrsten Sinne des Wortes leisten können? Wieso sollte man Leute mit einem Einkommen von 80.000+ entlasten? Das ist finanzwirtschaftlich UND moralisch absoluter Humbug. Das ist ein Wahlgeschenk zulasten derjenigen, die eh am schwächsten sind.
Aber hey, es ist schon wichtig, dass „die wahren Stützen dieser Gesellschaft“ ihren Reichtum weiterhin von Generation zu Generation weitervererben und vermehren, weiterhin ungeniert jegliche ekelhaften (legale wie nicht legale) Steuertricks abziehen können, dem Sohnemann weiterhin zum Abi nen Audi A5 spendieren können während Mutti gerade mit dem BMW X4 zu Aldi fährt, obwohl, skandslös (!!), die Butter schon wieder mehr als 2€ kostet, und Papa überlegt, welche Eigentumswohnung er denn als nächstes als Investitionsobjekt kauft.