50 Jahre ist es her und für mich fühlt es sich an, als wäre es Gestern gewesen.
Borussia Mönchengladbach und der 1.FC Köln stehen sich im Pokalendspiel der Saison 72/73 gegenüber. Die Spieler wissen es noch nicht - aber sie werden Teil eines Spieles werden, welches in die Deutsche Fussballgeschichte einging.
14 Tage vorher hatte der FC die Gladbacher Borussia in Müngersdorf mit 3:1 besiegt und Gladbachs Star Netzer hatte einen sehr müden Eindruck gemacht. Dieses Spiel war unter anderem Ausschlag gebend dafür, daß der Gladbacher Trainer Hennes Weisweiler seinen Star(der ohnehin nach der Saison zu Real Madrid wechseln würde) auf die Ersatzbank beim Pokalendspiel beorderte. Und so stellten sich folgende 22 Spieler vor dem Anpfiff zur Nationalhymne.
Monchengladbach startete mit folgender Aufstellung:
Kleff - Michallik Vogts Sieloff Bonhof - Danner Wimmer Kulik - Jensen Rupp Heynckes
Der 1.FC Köln startete mit folgender Aufstellung:
Welz - Kapellmann Cullmann Weber Hein - Simmet Neumann Flohe Overath - Glowacz Löhr
69.600 Zuschauer, ein ausverkauftes Stadion. Schwülwarme Luft, heiss. Die Zuschauer sind schon vor dem Spiel wie elektrisiert. Man spürt - es liegt etwas in der Luft.
Keine 2 Minuten ist das Spiel alt, als Bernd Cullmann mit einer fantastischen Aktion in allerletzter Sekunde einen von Rupp an Welz vorbei geschlenzten Ball(Welz berührte ihn soeben) vor Überschreiten der Torlinie bewahrte. Das war der atemlose Auftakt zu einem Spiel, welches die Zuschauer von den Sitzen riss. In der ersten Halbzeit der ersten Halbzeit war Köln einfach stark und Gladbach war noch stärker. Herbert Wimmer schoss schliesslich das 1:0 für Gladbach in der 24ten Minute. Danach drehte der FC noch mehr auf. Heisst: Gladbach blieb auf hohem Level und der FC übertraf dieses Level. 41te Minute - Flohe spielt auf Overath. Und Overath spielt mit einem hervorragenden Hackentrick Herbert Neumann frei - Flachschuss und 1:1, keine Chance für Kleff.
41te Minute und noch 4 Minuten bis zur Halbzeit - lange und bange Minuten für Gladbach, denn der FC nagelt die Gladbacher jetzt förmlich an die Wand.
Nach der Halbzeit haben die Kölner in der 48ten Minute eine so genannte tausendprozentige Chance - aber Simmet verdasselt die und ist anschliessend fassungslos über sein Missgeschick. Es geht hin und her und nach 58 Minuten legt Kapellmann Heynckes und es gibt einen Elfmeter. Heynckes tritt an und schiesst hart und flach in die Ecke......und Welz hält den Elfmeter mit einer Hand. Er hält ihn nicht nur mit einer Hand, er hält den Ball sogar fest.
Zeit, um die Torhüterleistungen auf beiden Seiten zu beleuchten. Wenn das Spiel 6:6 ausgegangen wäre - dann wären Welz und Kleff immer noch unter den Besten ihres Teams gewesen. Es war schlicht und simpel unfassbar, was die beiden Torhüter hielten. WELTKLASSE ist das einzige Wort, was die Leistungen der Torhüter angemessen bewertet.
Im Rest der regulären Spielzeit hatte beide Mannschaften jeweils 8,9,10 Gelegenheiten. Bei jeder Aktion brannte es vor dem jeweiligen Tor. Kleff und Welz hielten alles und Welz hatte Glück, daß Heynckes den Pfosten traf. Und Kleff hatte Glück, dass Glowacz und Flohe mit fulminanten Schüssen die Latte trafen.
In der Zwischenzeit hatte Overath ausgewechselt worden, der Kapitän litt unter Wadenkrämpfen.
Verlängerung. Es kommt zu dem bemerkenswerten Ereignis, daß sich der verschmähte Star Günter Netzer für den entkräfteten Kulik selber ein wechselte.
In Minute 94 hat Netzer seine einzig bemerkenswerte Aktion und trifft unhaltbar für Welz zum 2:1. Der Ball sei ihm über den Schlappen gerutscht, sagte Netzer später. Sei es drum, es steht 2:1 für Gladbach. In den 26 Minuten, die folgen, versuchen die Gladbacher nicht das 2:1 zu verteidigen, sondern das 3:1 zu erzielen. In den 26 Minuten die folgen, versuchen die Kölner mit aller Macht den Ausgleich zu erzielen. Oder vielleicht auch mehr. Das Drama, das sich unten auf dem Rasen ab spielt, ist kaum fassbar - und die Torhüterkünste sind ebenso unfassbar. Der Höhepunkt erfolgt kurz vor Ende der Verlängerung. Heinz Flohe hat sich wieder einmal durch gespielt und massgerecht serviert. Und Bernd Cullmann kommt mit einem fulminanten Kopfball Torpedo und Kleff erwischt den Ball tatsächlich im Rückwärtsfallen - einfach nicht zu glauben.
Schiri Tschenscher pfeift schliesslich ab. 26 Spieler haben alles, alles, alles gegeben und den Fight, das Spiel ihres Lebens gespielt. Vogts, Kleff , Bonhof und Wimmer überragend auf Gladbacher Seite. Welz, Cullmann, Neumann und Flohe(bestes Spiel seiner brillanten Karriere) die Stärksten auf Kölner Seite. Aber was heisst schon die Besten?! Alle waren grandios, alle haben überzeugt, alle haben alles gegeben.
Auf der Tribüne habe ich gesessen damals. Knappe 13 Jahre alt, Gefangen von diesem unfassbaren Drama, diesem fantastischen Spiel. Dieses Spiel hat mich endgültig und unrettbar an den Fussball gekettet. Zwei Mannschaften vergessen jede Taktik und spielen erkennbar nicht, was die Trainer vorgegeben haben - sondern lassen es einfach raus und gehen. 3 Tore fielen in diesem Spiel, aber die Mannschaften waren auf 20 Tore aus. In gewisser Weise Bolzplatzfussball eben - aber mit Atemberaubenden Tricks und einem für damalige Verhältnisse sagenhaften Tempo(und das bei dieser Hitze). Heute noch erinnere ich mich an fulminanten Dribbling eines Heinz Flohe durch die Gladbacher Reihen. Das war so, als wenn das heisse Messer durch die Butter glitt.
Nach dem Abpfiff habe ich geweint. Ich konnte einfach nicht mehr - meine Tränen waren geboren aus Schmerz und völliger Erschöpfung, ich konnte einfach nicht mehr. Niederlage nach so einem Spiel - das war einfach zu viel. Das hatten wir einfach nicht verdient.
Die Zuschauer feierten die Gewinner. Die Zuschauer feierten die Verlierer. Weil es keinen Verlierer gab. Und was auch die Gladbacher Spieler wohl so sahen - denn diese absolvierten ihre Ehrenrunde in den Trikots der Unterlegenen(bitte: GLADBACH DREHT DIE EHRENRUNDE IN KÖLNER TRIKOTS). Eine grosse Geste einer grossen Mannschaft für eine grosse Mannschaft. Und ein würdiges Ende für ein Spiel, das niemand jemals vergessen wird wer es gesehen hat.
50 Jahre ist es her. Es ist der 22 Uhr 45 am 23.06.2023. Vor fünfzig Jahren sass ich um diese Zeit mit meinem Vater, meinem Onkel und ihren Freunden an einem warmen Abend in einem Biergarten am Niederrhein, der voll mit Gladbacher und Kölner Anhängern war. Respekt für den Gegner - das war die Devise. Das Bewusstsein - man hat etwas ganz Grosses gesehen. Unvergesslich. Magisch.