Wenn man sich die Tabelle der Fussballbundesliga so an sieht, dann überfällt den langjährigen Betrachter je nach Vorliebe entweder ein Schauer der Freude oder ein Schauer des Entsetzens.
Der FC Bayern München siedelt nach dem 11ten Spieltag auf Platz 5 an und liegt gerade einmal einen Punkt vor dem 6ten Hoffenheim, dafür aber 7 Punkte hinter dem Spitzenreiter Dortmund. Über die Kalamitäten der Bayern wird quasi täglich in allen Gazetten geschrieben und nicht nur auf den Sportseiten der Tageszeitungen oder der Fachpresse - nein, auch die Yellow Press bedient das Publikum Die Bayern sind in ganz veritablen Schwierigkeiten - und das ist definitiv ein neues Fahrwasser.
Vergleicht man die Tabelle nach dem 11ten Spieltag der aktuellen Saison mit dem der Saison davor - dann gibt es noch mehr gravierende Änderungen. Die Bayern - wie gesagt - sind bei minus 6 Punkten gegenüber Vorjahr und liegen statt auf 1 jetzt auf 5.
Dortmund hat 7 Punkte mehr geholt und ist statt 3ter jetzt Erster. Gladbach verbessert sich um 5 Punkte und um 4 Plätze. Eintracht Frankfurt vollbringt Erstaunliches und ist vierter mit 20 Punkten. Diese Frankfurter hatte man nach dem Weggang von Kovac und vier Stammspielern schon als Abstiegskandidaten gehandelt.
Das Gegenprogramm bieten Hannover - letztes Jahr zu dieser Zeit 6ter mit 18 Punkten, jetzt hinten mit 8 Punkten. Und natürlich Schalke 04. Der Vizemeister - im letzten Jahr bei 20 Punkten zu dieser Zeit - hat 10 Punkte weniger und dümpelt ebenfalls unter ferner liefen. An Schalke lässt sich besonders gut heraus arbeiten, was in der Liga passiert ist. Die Schalker haben nämlich ein doppeltes Problem. Am 11ten Spieltag des letzten Jahres hatte Schalke ein Torverhältnis von 14:10 und jetzt von 8:15. Sechs weniger geschossen, 5 mehr bekommen = minus 11. Und da muss man sich über die Punkteausbeute nicht wundern.
Die Liga macht mehr Spass. Das liegt nicht nur daran, daß die übermächtigen Bayern nur etwas mehr als die Hälfte ihrer Spiele gewonnen haben und somit jetzt wirklich Spannung im Karton ist. Nein, es werden deutlich mehr Tore geschossen. Borussia MönchenGladbach, im letzten Jahr noch anerkannter Chancentod, hat 26 Treffer erzielt. Borussia Dortmund gar deren 33. Die Liga insgesamt liegt bei 312 Treffern - und ob man das nun glaubt oder nicht - das sind 48 Treffer mehr als im Vorjahr. Woran liegt das?! Das liegt daran, daß deutlich mehr Teams als vorher den Abschluss suchen. Und sie haben die Spieler dafür und das ist entscheidend. Die Rückkehr der (echten) Stürmer - sie passiert tatsächlich. Jovic, Haller, Alcacer, Plea, Finnbogason, Hazard, Lewandoski - Knipserund Mittelstürmer sind gefragt und wieder da. Leider keine deutschen Mittelstürmer - aber die Nummer haben uns Herr Löw und die Akademien beschert und das ist ein anderes Thema.
Schalke 04 - kommen wir noch einmal zurück - hat ein Riesenproblem. Nein, gleich deren zwei. Mit Uth und Embolo fallen die Stürmer aus, die es eigentlich richten sollten. Und die Abwehr alleine kann es nicht mehr richten. Und jetzt fällt in Schalke auch auf, daß man mit Goretzka und Meier Leistungsträger verloren und nicht adäquat ersetzt hat. Der Liga tut indes auch der negative Schalker Trend gut. Denn nichts - neben dieser Bayern Dominanz - hat der Liga im letzten Jahr mehr Schaden gebracht, daß eine Mannschaft, die derartig fast unerträglichen schwachen und auf Vorsicht bedachten Fussball spielte und ein geradezu unfassbares Spielglück hatte, mit diesem Fussball dann Zweiter wurde.
Mannschaften, die offensiv und nach vorne spielen und Stürmer haben, die wissen wo die Bude steht - die haben momentan das Sagen. Und das gibt dieser Liga ein Stück Attraktivität zurück. Die Bayern Dominanz ist zunächst einmal gebrochen. Das liegt auch daran, daß die Bayern deutlich weniger Tore schiessen als im Vorjahr(minus 7) und deutlich mehr bekommen als im Vorjahr(plus 6). Die Riberys und Robbens sind grosso modo "finished" - ein hartes Urteil, ich weiss. Ich traue gerade den beiden nochmal gute Spiele zu, aber ich traue ihnen nicht gute Spiele in Serie zu. Kaum etwas ist trauriger als grosse Fussballer, die den Zeit des Absprunges verpassen und die immer noch eine Selbstwahrnehmung haben, die nicht mehr zum Leistungsvermögen passt. Oder zu dem, was der geschundene Körper noch bringen will und kann. Bayern wird nicht Meister in diesem Jahr, da lege ich mich zu einem sehr frühen Zeitpunkt fest. Die Meute hat Blut geleckt, sie weiss wie man diesen Bayern weh tun kann. Und die Protagonisten der grossen Zeit von 2012 bis 2018 sind allesamt älter geworden, aber nicht besser. Wir sehen den Meister auf Abruf.
Es ist auch die Zeit der Trainer und ihrer Einfälle. Tedesco ist im letzten Jahr mit Betonfussball und einer rein physischen Ausrichtung durch gekommen. Das wird in diesem Jahr nichts - Schalke wird erhebliche Probleme haben, um in die vordere Tabellenhälfte zu kommen. Favre in Dortmund ist ein genialer Tüftler, der die Spieler besser macht und (fast) immer die Antworten auf dem Spielfeld geben kann. Mit einer kleinen Umstellung, mit einer grossen Auswechslung. Hütter in Frankfurt hat erkannt, was diese Mannschaft stark macht und lässt Kostic, Rebic, Haller und Jovic gar gemeinsam spielen. Teilweise vorne anarchisch - aber auch das ist ein Plan, weil er den Gegner in der eigenen Hälfte fast vor unlösbare Probleme stellt, wenn diese 4 im Rollen sind. Nagelsmann in Hoffenheim lässt die Mannschaft feinen, technisch gepflegten Fussball spielen. Und Rangnick hat erkannt, daß seine Leipziger hinten ihre Probleme nicht im Griff hatten. Und darauf reagiert - Leipzig kassiert keine Gegentore mehr. Das Motto lautet: Spiel dein Spiel, bringe deine Stärken auf den Rasen. Und das sind meistens offensiv ausgerichtete Mannschaften ohne Angst - auch ohne Angst vor Bayern München. Und das macht den Unterschied. Die Bayern sind jetzt bei minus 5 % und der Rest ist bei plus 10 % - wir haben wieder eine Liga, in der (a) die Bayern schlagbar sind und (b) der Rest der Liga das auch weiss.