Hallo allerseits,
schon viel zu lange trage ich dieses Posting mit mir herum. Erst merkte ich, wie langsam das Interesse abnahm, die Brettanmeldungen weniger wurden, Emotionen nicht mehr so da waren wie früher... der Profifußball und ich, wir haben uns auseinander gelebt. Das kann auch der Effzeh nicht kitten.
Als erstes muss ich sagen, dass ich in einer Lebensphase bin, in der bei nicht wenigen ein Hobby auf der Strecke bleibt. 2020 kam unser zweites Kind auf die Welt, im Alltag ist immer was los, ich habe (endlich) wieder Spaß an meinem Job, engagiere mich politisch und nehme mir nebenbei meine persönliche Sport-Zeit als Schiedsrichter im Amateurbereich. Da ist nicht mehr viel Zeit für Profifußball gucken.
Umso stärker habe ich aber hinterfragt, ob der Profifußball weiterhin meine Zeit und mein Geld bekommt. Ich war nie jemand, der jede Woche fünf, sechs Spiele schaut. Wenn es mal ein Angebot von Sky gab und die FC-Spiele günstig lagen, hab ich mal einen Probemonat für einen Zehner gebucht. Oder wenn Freitag Abend gespielt wurde, mal in der Kneipe. Profifußball war FC und FC war Profifußball - bis auf ein paar Spiele der Nationalmannschaft.
Nun bin ich der Meinung, die Corona-Pandemie hat viele Fehlentwicklungen des Profifußballs nochmal offensichtlicher gemacht.
Während im Winter 2020/2021 die Pandemie wütete, wurden zum Beispiel völlig unbeeindruckt europäische Wettbewerbe durchgeführt. Flüge, Hotelaufenthalte, alles dabei. Das Konzept des Sommers 2020 - man erinnere sich an die wochenlange Quarantäne von Dynamo Dresden - war Makulatur, es war auf deutsch gesagt sch*egal ob sich jemand infizierte. Notfalls ging es ja im Privatjet nach Hause. Was hätte man denn tun sollen, fragen einige. Ich hätte da ein paar Ideen. Zum Beispiel hätte man die Champions League auf zwei Turnierrunden eindampfen können. Drei Gruppenspiele von mir aus im Oktober, jede Gruppe an einem Spielort. Und vier Finalspiele im Mai. Der Integrität des Wettbewerbs hätte das keinen Abbruch getan. Es ging aber ausschließlich um Geld.
Ironischerweise wurden gleichzeitig im Amateurfußball Regelungen getroffen, die Unterbrechungen vorgebeugt haben. Staffeln wurden aufgeteilt, aufwändige Konzepte mit Hin-/Rückspiel und zusätzlicher Auf-/Abstiegsrunde erstellt, um möglichst schnell eine Runde durch zu haben und notfalls eine aussagekräftige Tabelle für den Abbruch zu haben. So spielen wir hier in Niedersachsen noch heute, und gerade jetzt zeigt sich, wie gut das Konzept ist.
Ich nehme es dem Fußball dann auch übel, dass man, als bereits klar war, welchen Schaden Reisen und Stadionbesuche anrichten, unbedingt noch die EM durchziehen musste. Wenn wir an diese Zeit zurückdenken im Juni, da waren gerade 20 % der Deutschen geimpft und in Großbritannien verbreitete sich die Delta-Variante. Nein, nicht nur die Spieler haben Sonderrechte und reisen quer durch Europa, jetzt lockt man auch noch Otto Normalzuschauer an. Während ich auf einer Dienstreise in München am Testzentrum anstehe damit ich ins Hotel reinkomme, steht hinter mir einer im Trikot, hustet sich die Seele aus dem Leib, und macht schnell den Test um abends ins Stadion zu gehen.
Selbstredend wurden auch im Sommer 2021 wieder Unsummen am Transfermarkt bewegt. Wisst ihr noch, als wir Anfang 2020 gesagt haben, jetzt gehen die Transfersummen erstmal wieder runter? Pustekuchen. Vor Jahren hat man mal gesagt, gute Jugendarbeit ist der Schlüssel. Klingt nicht so plausibel, wenn nun Zig Millionen für Florian Wirtz nach Leverkusen statt Köln gehen. Ist mir auch egal, dass unser Management das verbockt hat. Das System ist kaputt.
Und dann denke ich noch darüber nach, dass Fußballer auch Vorbilder sind. Aber was für welche? Da genießt man monatelang Reiseprivilegien und am Ende stellt sich raus, beim großen FC Bayern haben doch einige Spieler Zweifel an der Impfung. Was meint ihr, wie das bei einem Familienvater ankommt, für dessen Kinder es noch keine zugelassene Impfung gibt und der die Wahl hat, seine Kinder in die Kita zu bringen oder seinen Job deutlich schlechter zu machen?
Wo stehen wir denn im Fußball? Der Reset-Knopf, den manche in der Corona-Pandemie gesehen haben, gibt und gab es offenbar nie. Einige Vereine wird es dahinraffen, andere werden kommen. Dafür ist in einem Jahr um diese Zeit WM in Katar, ein Land, das die Menschenrechte mit Füßen tritt. Und auch dort: was für ein Vorbild ist der deutsche Fußball, der - wieder - in Gestalt des FC Bayern völlig kritiklos das Geld annimmt?
Und trotz dieser Unmengen an Geld im System wird an mehr als einer Stelle völlig dilettantisch gehandelt. Sei es, dass man auch nach vier Jahren nicht in der Lage ist, ein einigermaßen gerechtes VAR-System einzuführen. Oder dass immer neue Regeländerungen kommen, die für den Amateurfußball geradezu absurd sind (ich bin froh, wenn mein Assistent gut abseits erkennt und das gut verkauft, und ich konnte jahrelang wunderbar damit leben, klar absichtliche Handspiele zu pfeifen und alle anderen eben nicht). Ist es wirklich so, dass derart hochbezahlte Leute so wenig Kompetenz (und möglicherweise Selbstkritik haben)?
Geld, das ist das Stichwort. Der Profifußball ist aus meiner Sicht verkommen zu einer riesigen Umverteilungsmaschine von unten nach oben. Während einige so viel verdienen, dass sie 28 Millionen Steuern hinterziehen können, werden nicht wenige Gastronomen an den immer mehr zersplitterten Abo-Gebühren knabbern. Während mancher sich Klubs, Spieler und sogar Weltmeisterschaften kaufen kann, werden anderswo Kinder gemobbt, weil das Trikot aus dem Urlaub eben doch nicht das 90-Euro-Original ist. Während es für einige das Erlebnis ihres Lebens ist, einmal mit dem FC nach London zu fahren, sehen andere die Zuschauer als lästig an und würden am liebsten im halb leeren Stadion auflaufen. Und so gibt es für mich nur einen Entschluss: von mir gibt es keinen Cent mehr für den Profifußball. Das sieht dann so aus, dass ich mir im Sommer 2021 ein Trikot von Loch Ness FC bestelle. Die haben ein Monster auf dem Trikot. Oder dass ich meine ehemalige Mitgliedsgebühr für einen wohltätigen Zweck spende. Ich bin keiner, der alte Trikots und Schals verbrennt. Aber erstmal nichts mehr ausgeben - das ist mal die erste Maßnahme.
Diese Grundstimmung hat sich dann natürlich darauf übertragen, wie ich den Profifußball wahrgenommen habe. Die Emotionen waren größtenteils weg. Relegation? Joa, war lustig, dass sie hier im NDR alle geflennt haben. Aber die großen Emotionen gab es von mir nicht. Baumgart, ok, zur Kenntnis genommen. Guter Saisonstart. Aber meistens wusste ich nicht mal, an welchem Tag der FC spielt. Manchmal merke ich samstags um 17 Uhr dass der FC spielt, wenn ich anfange zu kochen und in der Konferenz nach Köln geschaltet wird. Und klar lächle ich dann, wenn ein Tor für den FC fällt. Aber die Freude von innen heraus, das Bangen, der Jubel - das gibt es nicht mehr.
Ein tiefes Gefühl habe ich dann doch noch: ich gönne es euch. Ihr, die ihr diese Emotionen habt, die bei mir verloren sind. Ob im Brett oder die, die ich von früher persönlich kenne. 4:1 gegen Gladbach - das freut mich. Für die Fans, denen es von Herzen besser geht mit einem Klub im Tabellenmittelfeld, der mal Gladbach wegputzt, als mit einem erneuten Abstieg. Bei der Relegation hab ich an euch gedacht, die ihr es einfach nicht verdient habt, ein Zweitligisten-Forum zu sein. Aber selbst das hat mich nicht dazu gebracht, hier über Fußball schreiben zu wollen. Wie auch, wenn ich noch nicht mal Zusammenfassungen anschaue?
Ich weiß nicht, ob das eine Phase ist. Ich glaube, das weiß kein Mensch so richtig (deswegen gibts ja so viele Scheidungen). Vor zwei Jahren habe ich noch gedacht, Mensch, die lebenslange Mitgliedschaft würde sich für mich ja echt lohnen mit Anfang 30. Jetzt ist die Mitgliedschaft gekündigt. Im Moment fühlt es sich so an, als würde es lange, lange dauern, bis ich mal wieder einen Stadionbesuch in Erwägung ziehe oder auswärts fahre, wenn es hier im Norden was gibt. Man will ja auch nicht als Erfolgsfan zurückkommen. Nein, der zwischenzeitliche Erfolg gehört euch, die ihr "durch et Füer" schon gelebt hat, bevor es ein Marketing-Claim wurde um die Bilanz zu retten. Die ihr "spürbar anders" seid, nicht weil es auf der Bandenwerbung steht, sondern weil ihr schon immer so wart.
Meine Diskussionsfreude habe ich übrigens nicht verloren. Wer sucht, findet mich zum Beispiel auf Twitter. Nur der Profifußball und ich, wir sind uns fremd geworden. Und damit gibt es auch wenig, was ich hier im Forum beitragen könnte. So schade es ist. Einer weniger, der sich nächsten Sommer um Europapokaltickets kloppt.
Ich wünsche euch alles Gute und viel Erfolg mit dem FC. Man sieht sich immer mehrmals im Leben
PS: einen Zeitungsartikel hab ich noch für euch zum lesen und genießen. Viel Spaß in Liga 2, Saunaboy!
https://www.weser-kurier.de/we…t-doc7fboifym93p18t6inavi